Lahmheiten – ganz ohne kommt kaum ein Pferdehalter davon

3. September 2021   |   von Dr. Aleksandar Vidović

In diesem Beitrag möchten wir über etwas ganz grundsätzliches berichten, etwas was unserer Erfahrung nach viele Pferdebesitzer nicht richtig verstehen.

In der heutigen technisierten und schnelllebigen Zeit werden sehr oft einige grundlegende Schritte missachtet und es wird, unserer Meinung nach, vorschnell zu teurer Technik gegriffen.
Dabei hat sich die Anatomie des Pferdes, seitdem die Menschen denken, nicht im Geringsten verändert. Die Medizin unterliegt hingegen einem schnellen Fortschritt. Die neuartigen Geräte bieten zwar bis jetzt ungeahnte Möglichkeiten, ändern aber nicht die Reihenfolge in der Lahmheitsdiagnostik ab. Mit der Frage , wie eine klinische Untersuchung aufgebaut ist, beschäftigt sich ein ganzes Fach im medizinischen Studium: die Propedeutik.
Besuchen sie selbst einen Arzt, weil es irgendwo weh tut, teilen sie ihm schon in dem ersten Satz mit, wo der Schmerz sitzt. Das müssen wir beim Pferd, manchmal mühsam, erst einmal in Erfahrung bringen. Es existiert bislang kein technisches Gerät, das dies vermag. Deshalb steht die Klärung, wo es weh tut, immer am Anfang.
Nach dem Vorbericht folgt eine sorgfältige klinische Untersuchung, welche alle Sinne und die ganze Erfahrung des Arztes beansprucht.
Zum Zweck des Vorberichtes haben wir einen Fragebogen erstellt, den sie per Email erhalten und zuhause in Ruhe ausfüllen können.
In der Regel geht es danach so weiter:
Das Pferd wird im Behandlungsraum untersucht und evtl. wird schon hier ein verdächtiger Bereich gefunden (Wärme/ Schwellung/ Druckempfindlichkeit). Anschließend findet eine Beurteilung in der Bewegung statt. Wir möchten hier keine vollständige Abhandlung ausführen. Generell lässt sich sagen, dass stark lahme Pferde nur kurz vorgeführt werden – manchmal nur im Schritt - wohingegen die leichten Lahmheiten einer ausführlicheren Untersuchung in Bewegung bedürfen. In ersterem Fall kann es sogar bedenklich sein, das Pferd Runde um Runde vorzuführen.
Ich selbst bekomme oft einen konkreten Verdacht, der sich nicht selten bestätigt und dennoch verlasse ich mich nie ausschließlich darauf.

- Dr. Aleksandar Vidović

Üblicherweise werden die Pferde im Schritt und Trab auf hartem und weichem Boden, auf der Geraden und in der Wendung vorgestellt, anschließend werden Beugeproben durchgeführt und evtl. das Longieren in allen Gangarten als Beurteilungskriterium hinzugezogen. All diese Schritte dienen erstmals zur Beurteilung des Bewegungs- bzw. des Lahmheitsmusters. Der erfahrene Arzt wird nach diesem Vorgehen einen ersten Verdacht haben, wird sich aber niemals darauf verlassen. Solange dies nicht bestätigt ist bleibt es bloß eine subjektive Meinung und als solche ist sie mehr oder weniger Irrtum belastet.
Jetzt geht es in die spezielle Lahmheitsdiagnostik. Wenn kein konkreter Verdacht vorliegt beginnt die Anästhesie von unten nach oben.
„Der in den vorangegangenen Schritten gewonnene Verdacht kann helfen die Untersuchung erheblich zu verkürzen und die Anzahl der notwendigen Anästhesien zu reduzieren.“
(Dr. Aleksandar Vidović)

Bei einer diagnostischen Anästhesie handelt es sich um eine örtliche Betäubung, die einen Körperbereich unempfindlich macht. Befindet sich die schmerzhafte Stelle in der betäubten Region, so verschwindet die Lahmheit oder sie reduziert sich. Nach der ersten Lokalisation wird die konkrete schmerzhafte Struktur gesucht. Dies geschieht durch weitere Anästhesien, wie beispielsweise Gelenkanästhesien. Dadurch, dass die zuvor gesetzte Betäubung über viele Stunden wirkt, kann eine erneute detaillierte diagnostische Anästhesie frühestens am Folgetag stattfinden. Erst nach dem möglichst genauen Eingrenzen des Lahmheit verursachenden Bereiches, macht es Sinn mit der bildgebenden Diagnostik weiter zu machen. Jetzt kommt sie endlich zum Einsatz – die Technik.

Meine Kunden werden meinen üblichen Spruch kennen:
„Der ganze Zirkus nur dafür, um eine Frage zu beantworten. Wo tut es dir denn weh?"

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube unter Pferdebesitzern, dass ein Röntgen- oder Ultraschallbild Aufschluss darüber gibt warum das Pferd lahm. Dieses Verfahren beschreibt lediglich die Beschaffenheit von dem Gewebe das sie darstellen (Röntgen: Knochen, Ultraschall: Weichteile und Knochenoberflächen).

Hier ein Beispiel aus der Praxis: Wird ein älteres Pferd, welches bereits Leistung im Sport erbracht hat, an irgendeiner beliebigen Stelle geröntgt, ist es wahrscheinlich, dass irgend ein Befund auffällt. Sprich, dass auf dem Röntgenbild zwar eine Veränderung aufgrund von Verschleiß zu sehen ist, die aber für das Pferd kein schmerzhaftes Problem darstellt. Im Gegenzug kann eine Lahmheit aus einem Gliedmaßen-abschnitt herrühren, welcher röntgenologisch völlig unauffällig ist. Gehen Sie mal von sich aus! Welche Erfahrung haben Sie schon am eigenen Leib gemacht? Eine gut abgeheilte Fraktur bleibt zeitlebens sichtbar, ist aber nicht mehr schmerzhaft. Ein verstauchter Knöchel kann höllisch weh tun, ohne dass auf dem Röntgenbild eine Veränderung sichtbar wird. Ein Hexenschuß kommt und geht, ein Röntgenbild wird hier vermutlich nichts anzeigen.

Wenn ein Mosaik aus allen durchgeführten Untersuchungen eine Diagnose ergibt, erst dann geht es weiter mit der Behandlung.

Erst der Doktor, dann der Apotheker
Solch eine detaillierte Untersuchung dauert manchmal 2-3 Anläufe, sprich u. U. auch mehrere Tage. Hiermit sparen sie dennoch wertvolle Zeit! Die Zeit, welche sie gleich am Anfang investieren rechnet sich in den meisten Fällen nach hinten raus. Auch aus eigener Erfahrung wissen sie vielleicht, dass nicht jede Behandlung immer greifen muss. Beim Pferd ist es nicht anders. Stellen wir unmissverständlich fest, dass beispielsweise ein bestimmtes Gelenk die Lahmheit verursacht, die Behandlung aber nicht greift, dann stellt sich nur die Frage, was können wir anderes tun. Hat man aber am Anfang auf Verdacht, ohne gesicherte Diagnose behandelt, so werden gleich zwei Fragen aufgeworfen: hat die Behandlung nicht gegriffen oder haben wir überhaupt die richtige Stelle behandelt?
Das Spiel geht im zweiten Fall wieder von vorne los. Manchmal wiederholen sich solche Behanlungsversuche gefolgt von einer strikten Bewegungseinschränkung und Trainingsausfall (d. h. Zeitverlust) mehrmals hintereinander. Das kann ihnen und ihrem Pferd erspart bleiben.
Nun möchten wir ihnen hier keine Angst damit machen, dass jede gewissenhaft durchgeführte Lahmheitsuntersuchung zwangsläufig langwierig und kostspielig werden muss – nein, manchmal geht es auch ganz schnell und unkompliziert.
Eine dicke Sehne wird geschallt, gegebenenfalls behandelt und zuhause durch ein Bewegungsprogramm therapiert.>

Dennoch, oft lohnt es sich etwas genauer hin zu schauen, denn

Der vermeintlich langsame Weg ist somit der schnellere.

Der zunächst kostspieligere Weg ist am Ende günstiger.